Mandragora officinarum

Alraune

S

o viel wurde und wird immer noch über die Pfknze geschrieben, daß selbst die Eifrigsten unter uns gar nicht erst die Hoffnung zu hegen brauchen, alles lesen zu können. Dies ist aber auch nicht nötig, da das Gebäude an Überlieferungen, das um die Alraune errichtet wurde, seit ungefähr 1700 keine wesentlich neuen Züge mehr angenommen hat. Jede Bearbeitung des Materials in der Neuzeit kann deshalb nur ein, wie zu hoffen bleibt, kritischer Überblick sein; dies scheint aber niemanden zu stören, da heutzutage mehr denn je über die Alraune geschrieben wird.

So wie die Leute Interesse an der Alraune finden, so interessieren sie sich auch für das große Meeresungeheuer, Atlantis, El Dorado und die Prophezeiungen des Nostradamus - alte Geschichten, die einem so vertraut sind, daß man sie sich immer wieder im Schlaf erzählt, und die man trotzdem nicht vergessen möchte.

Gemeinsam ist diesen Immergrüngewächsen der Populargeschichte: sie bilden die Verschmelzungen sehr alter Mythen und beinhalten Gesichtspunkte einer vergangenen Wirklichkeit, die vielleicht irgendwann einmal wiederkehren wird, so zum Beispiel den Kampf des Menschen gegen wilde Ungeheuer, seine Flucht vor Naturkatastrophen usw., oder aber sie betonen die fundamentalen Aspekte menschlichen Glaubens und Hoffens:das Streben nach Glück und Erfolg und die Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen. Was wir in unserem Mythenschatz horten, ist keinesfalls vom Zufall bestimmt, und der Grund, weshalb auch eine so vergleichsweise harmlose medizinische Pflanze wie die Alraune darin zu finden ist, liegt darin, daß man sie im Laufe der Zeit in Volkserzählungen mit so viel Mysterium umgab, daß sie mehr und mehr nicht nur für die mächtigste, sondern auch für die gefährlichste aller Zauberpflanzen

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